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Wie lebt es sich in der Synanon-Nachsorge
Im Gespräch: Nader und Benny aus unserer Nachsorge-WG in der Lichtenberger Straße
Benny und Nader im Gespräch
Als LKW-Fahrer und ausgebildete Fachkraft bleiben sie bei Synanon angestellt. Nach einem erfolgreichen Arbeitstag geht es für sie ab jetzt nachhause in die eigenen vier Wände. Im Gespräch haben sie uns verraten, wie sie mit der Umstellung zurechtkommen:

Ihr beide habt einen beachtlichen Weg bei Synanon zurückgelegt. Erinnert ihr euch an die Anfänge?
Benny: „Als ich mich am 1. April 2019 auf den Weg zu Synanon gemacht habe, war ich voll am Ende. Mir war nichts geblieben, ich war obdachlos und verschuldet, obendrein ein seelisches Wrack. Ich hatte von Synanon gehört, dass man auch ohne Kostenzusage immer aufgenommen wird. Also bin ich hin, um ein neues Leben anzufangen.“
Nader: „Ich war auch total kaputt, habe nur noch 55 Kilo gewogen. Außerdem drohte mir die Abschiebung, ich war bereits rechtskräftig ausreisepflichtig. Dadurch haben mir gültige Papiere für den Antrag bei einem Kostenträger auf Therapie gefehlt. Synanon war die einzige Lösung und meine letzte Rettung.“
Was waren eure Stationen und Ziele auf dem Weg?
Benny: „In der ersten Zeit hieß es erstmal: Bleiben und nüchtern werden. Nach zwei Wochen habe ich mir vorgenommen, drei Monate zu schaffen. Nach drei Monaten, wollte ich sechs erreichen und schon bald war ein Jahr greifbar. Mit dem 1. Clean-Geburtstag winkte der Führerschein der Klasse B und eine Ausbildung im Bereich der Umzüge. Während der Ausbildung habe ich den LKW-Führerschein gemacht. Wenig später konnte ich meine Ausbildung zur Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice (FMKU) abschließen. Daraufhin bin ich in die Nachsorge gezogen. Neue Ziele gibt es auch schon: Ich möchte einen Ausbilderschein erwerben, um Synanon und dem Zweckbetrieb Umzüge etwas zurückzugeben.“
Nader: „Mein erstes Ziel war, einfach meinen Arsch hier zu behalten, nicht negativ aufzufallen und bloß mitzumachen und die Regeln einzuhalten. Mein großer Bruder hat mir noch gesagt, vor neun Monaten bräuchte ich gar nicht auf die Idee kommen, zuhause aufzuschlagen bei all der Scheiße, die ich gebaut und dem Kummer, den ich meiner Familie bereitet hatte. Da würde ich es jetzt wohl schaffen, mich täglich zu rasieren und ein paar Monate auf mein Handy zu verzichten. Also habe ich hier so gut es geht mitgemacht und Hilfe angenommen. Eigentlich bin ich ein sozialer Mensch, ich höre mir gerne Kritik an und setze sie um.“


Ihr habt über die Jahre erstaunliches Durchhaltevermögen bewiesen. Was hat euch Kraft gegeben?
Benny: „Ich habe mir immer mein altes Leben vorgestellt und wie fertig und am Ende ich gewesen war. Außerdem habe ich durch Synanon gemerkt, dass ich schaffen kann, was ich mir vornehme.“
Nader: „Irgendwann wollte ich gerne mehr Verantwortung übernehmen und mir eine Perspektive durch die Ausbildung bei den Umzügen schaffen. Bis dato hatte ich keinen erlernten Beruf, ich hatte nie gearbeitet, also auch keinerlei handwerkliche Begabung vorzuweisen. Ich wollte gedanklich vom Suchtmittel weg und mir eine Perspektive schaffen für die Zukunft.
Wie habt ihr schwierige Zeiten überstanden?
Benny: „Bloß nicht aufgeben und an den Zielen festhalten, die man sich vorgenommen hat. Und natürlich hat mir die Gemeinschaft echt viel Kraft gegeben in den schweren Zeiten.“
Nader: „Das Verhältnis zu meinen Eltern und zu meinen Geschwistern hat sich stetig verbessert. Alle waren positiv überrascht von meiner Entwicklung, von meiner Widerstandsfähigkeit, meinem Selbstbewusstsein und meiner Art, zu kommunizieren. Gesundheitlich ging es mir bestens. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen. Die Gemeinschaft hat mir immer vertrauensvollere Aufgaben übertragen und mir gutes Feedback gegeben, das hat mich angespornt. So wurde ich eine respektable Person und ein Vorbild.“
Warum habt ihr euch für die Nachsorge entschieden?
Benny: „Nach fünf Jahren wollte ich mich ausprobieren und habe von der Möglichkeit erfahren, in die Nachsorge zu ziehen und als Angestellter zu arbeiten. Das habe ich dann auch gemacht.“
Nader: „Die Nachsorge ist für mich ein sanfter Übergang zurück in ein selbstständiges Leben. Woanders hast du immer Kollegen, die dich zum Feierabendbier einladen oder auf einen Joint. Indem ich in einem cleanen Umfeld arbeite, vermeide ich solche Gefahren.“
Wie hat es sich angefühlt, Synanon nach Jahren als Lebensmittelpunkt aufzugeben?
Benny: „Es war echt ungewohnt und auch sehr ruhig, aber ich habe mich schnell daran gewöhnt. Ich bin ja nach wie vor auf den Umzügen an der Gemeinschaft dran und gebe den neuen Leuten Tipps mit auf den Weg.“
Nader: „Vor dem Aufbruch ins Ungewisse war ich völlig aufgeregt und neugierig. Man hat so lange auf den Tag hingearbeitet und ist gespannt, wie man mit der Distanz zur Gemeinschaft und der vielen Freizeit zurechtkommt, die
man plötzlich hat.“
Wie seid ihr mit der Umstellung klargekommen?
Benny: „Zuerst war es komisch. Aber ich habe mich echt schnell daran gewöhnt.“
Nader: „Klar war es am Anfang ungewohnt. Jetzt ist keiner mehr da, der mich fragen würde, warum ich mein Bett nicht gemacht oder mir die Haare nicht gekämmt habe. Wir versorgen uns selbstständig, bezahlen unsere Miete usw. Mittlerweile habe ich mich eingelebt.“


Wie geht ihr mit der neu gewonnenen Freiheit um und wie gestaltet ihr die Freizeit?
Benny: „Ich habe eine Freundin, mit der ich einige Zeit verbringe. Und ich habe mich im Fitnessstudio angemeldet.“
Nader: „In meiner Freizeit besuche ich meine Familie, gehe mit Freunden essen oder Billardspielen. Wenn der Umzug an dem Tag nicht zu anstrengend war, geht’s anschließend zum Sport.“
Was tut ihr weiterhin aktiv dafür, um nüchtern zu bleiben?
Benny: „Nach wie vor gehe ich einmal im Monat zur Synanon-Zweckbetriebsgruppe. Über die Jahre habe ich in der Gemeinschaft Freunde gefunden, mit denen ich über alles reden kann. Wenn ich zum Beispiel Suchtdruck bekomme. Im Moment fühle ich mich aber stabil.“
Nader: „Jetzt kommt es drauf an, umzusetzen, was ich die letzten Jahre gelernt habe. Alles liegt in meinen Händen. Regelmäßig halte ich mir vor Augen, wie runtergerockt ich war, damit ich nicht in alte Verhaltensmuster zurückfalle. Bei Redebedarf steht es uns frei, die Sonntagsgruppe zu besuchen.“

Ihr leistet weiterhin wichtige Suchtarbeit. Was sind die Herausforderungen?
Benny: „Für die Neuen bin ich ein Vorbild, von daher zeige ich ihnen alles, was ich in meiner Zeit gelernt habe. Ich beantworte ihre Fragen und bin für sie da, wenn sie Abbruchgedanken haben. Dann teile ich meine Erfahrung, dass es sich lohnt, durchzuhalten und stark zu bleiben. Ich bin froh, den Schritt damals gegangen zu sein. Durch Synanon lebe ich heute ein zufriedenes, nüchternes Leben.“
Nader: „Oft erkläre ich den Neuen die Prinzipien von Grund auf: Warum die Gruppe wichtig ist; dass sie ab sofort in einer Gemeinschaft leben, in der kein Platz für Egoismus ist. Alle müssen irgendwie zusammenhalten, damit Synanon fortbesteht und der eine vom anderen lernt. Man unterstützt sich gegenseitig und ist hilfsbereit. Wer sich nicht unterordnet und mit dem Strom schwimmt oder viel Raum einnimmt und seine Mitmenschen Nerven kostet, wird auf der Gruppe auch mal schärfer angesprochen und muss sich dort die Kritik an seinem Verhalten anhören. Jedem, der selbst aus seinem Drecksloch rauskommen will und bereit ist, Tipps anzunehmen, helfe ich gerne. Obendrein erkläre ich alles arbeitstechnische zum Umzug: Wie baue ich einen Schrank oder ein Bett auf und ab, wie trage ich ergonomisch uvm. Für alle, die Interesse zeigen, bin ich da.
Das Interview wurde geführt von Sophie Mathiesen



